Rita Hausen
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Autorin & Künstlerin
Leseproben


Unter dem folgenden Link gibt es drei historische Geschichten von mir zum Hören:

http://www.jokers-downloads.de/de/812/gratis-downloads/autor.html?aid=10&lid=1 

 


Metamorphose

 
Grüne Blätter
hungrig
voll Mühsal
zerkaut und verdaut

Dünne Fäden
mit Trübsal
gesponnen
in Trauer verwickelt
ums eigene Nichts

Dann pocht es
von innen
und Flügel wachsen
ins Licht
der Wind
entfaltet ihr
Sehnen
und leichter
als Luft
schwebt tanzend
ihr Lied

Und da ist – so weit der
Himmel blau ist –
Kein Tod

 *******

 

Über dem Nebelmeer

„Der Wanderer ist weg“, schnaufte Harmsen atemlos, als er im Büro seines Chefs stand.
„Welcher Wanderer?“ Der Direktor der Hamburger Kunsthalle schaute irritiert von seinen Akten auf.
„Na, der auf dem Bild von dem Friedrich, Herr Direktor“, antwortete der Museumsangestellte.
Direktor Bredemann schaute auf seine Uhr, drückte die Taste auf seiner Telefonanlage und schnauzte seine Sekretärin an: „Wieso haben Sie diesen Verrückten hier hereingelassen. Sie wissen, ich habe gleich einen Termin mit dem Senator.“
Die Sekretärin öffnete die Tür, das wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Ich dachte, das ist vorrangig. Herr Harmsen sagte mir, dass ein Caspar-David-Friedrich verschwunden ist. Da habe ich ihn gleich zu ihnen vorgelassen.“
„Ja, wie … was … nicht möglich. Das ist ja …“, stotterte der Direktor. Seine Sekretärin hatte den Raum bereits wieder verlassen.
„Herr Direktor“, meldete sich Harmsen wieder zu Wort, „nicht das Bild ist verschwunden, sondern nur der Wanderer.“
Bredemann starrte den Mann wortlos an.
„Der Wanderer über dem Nebelmeer!“, half Harmsen nach und begann, seinem Chef umständlich das Bild zu beschreiben.
„Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen!“, unterbrach der Direktor ihn. „ Mir ist nicht nach Blödsinn zumute, ich muss wichtige Angelegenheiten regeln – und da bringen Sie mich mit einem schlechten Scherz aus dem Konzept.“
„Aber, ich scherze nicht, Herr Direktor! Und wenn ich mir eine Vermutung erlauben darf: Er ist bestimmt abgestürzt.“
„Jetzt wird es mir aber zu bunt. Sie haben im Dienst getrunken, ich werde Sie entlassen.“
„Aber nein, ich wollte nur den Schaden melden, ich kann nichts dafür. Ich war nur mal kurz im Nebenraum, weil mein Kollege zur Toilette musste – und als ich zurückkam, war der Wanderer verschwunden. Na, das ist doch kein Wunder. Er steht völlig ungesichert oben auf dem Felsen. Da ist eine Windbö gekommen und hat ihn runter geweht.“ Harmsen machte eine waagrechte Bewegung mit der Hand, um diesen Vorgang zu demonstrieren. Der Direktor lachte gequält: „Runter geweht! Ja klar. Wirklich sehr naheliegend.“ Er stand auf, öffnete die Tür und bat den Angestellten, sofort zu verschwinden.
„Aber bitte, schauen Sie sich das Bild doch an! Wenn ich die Unwahrheit gesagt habe, können Sie mich immer noch feuern“, sagte Harmsen nun leicht gekränkt. Bredemann seufzte und bat seine Sekretärin, den Termin bei dem Senator zu verschieben. Mit langen Schritten eilte er durch die Säle der Kunsthalle, vorbei an den Bildern von Runge und Leibl, dessen betende Frauen brav in der Kirche geblieben waren, auch die Brücke von Monet stand noch, Madame Heriot von Renoir lächelte spöttisch. Harmsen kam kaum nach. Endlich langten sie bei dem Bild an und tatsächlich: Bredemann konnte sich davon überzeugen, dass der Wanderer von der Spitze des Felsens verschwunden war. Es war nur noch die gigantische Landschaft mit schroffen Felsen und Bergen und natürlich der Nebel zu sehen.
„Das gibt es nicht“, hauchte der Direktor völlig verstört. Harmsen sah ihn von der Seite an und meinte tröstend: „Mir gefällt das Bild auch ohne den Wanderer. Alles in allem ist es ja nicht so schlimm, vielleicht merken die Besucher es gar nicht. Wir müssten nur den Titel ändern.“ Der Direktor starrte Harmsen konsterniert an. „Nicht schlimm sagen Sie, nicht schlimm? Eine Katastrophe ist das. Ein unermesslicher Schaden. Dieses Bild ist bei uns sozusagen der Renner, eines der beliebtesten Bilder.“
„ Aber Friedrich hat doch auch viele Landschaften ohne Menschen gemalt. Einfach nur die Natur. Ist doch auch schön. Und ich sage Ihnen noch einmal: er ist abgestürzt. Können Sie sich an ihn erinnern? Er hatte keinerlei Ausrüstung dabei, nicht einmal Bergstiefel oder einen Anorak. Mit einem Frack und feinen Schuhen mit glatten Sohlen ist er da raufmarschiert, ohne Sicherungsseil, nur mit so einem Stöckchen. Der muss verrückt gewesen sein! Man muss sich wundern, dass es nicht schon früher passiert ist!“
Der Direktor ließ Harmsen einfach stehen und eilte zum Büro des wissenschaftlichen Assistenten. Diesen schleifte ihn vor das Bild und fragte ihn, ob er sich darauf einen Reim machen könne.
„Ganz einfach“, sagte der schlagfertig, „jemand hat die Abwesenheit des Wärters genutzt, um es zu übermalen.“ Er betrachtete das Bild eingehend. „Aber ich muss sagen, das ist verflixt gut gemacht. Wir müssen es im Labor untersuchen, die Übermalung entfernen und den Wanderer rekonstruieren.“
Der technische Leiter, der inzwischen auch hinzugezogen worden war, erklärte: „Wenn sich jemand an dem Bild zu schaffen gemacht hätte, wäre doch der Alarm losgegangen.“
Eine Überprüfung der Alarmanlage ergab keine Anhaltspunkte. Und das Labor konnte keine Übermalung feststellen. Bredemann ließ sich von Harmsen ein weiteres Mal den Vorfall berichten, obwohl er von dessen Theorien eigentlich genug hatte. „Als ich aus dem Nebenraum zurück kam, fiel es mir gleich auf, dass der Wanderer weg war. Unheimlich war das.“ Der Direktor schüttelte den Kopf, woraufhin Harmsen meinte: „Sie scheinen ja von meiner Vermutung nicht viel zu halten, aber wenn er nicht abgestürzt ist, dann ist er weitergewandert. Sie kennen doch die Bedeutung des Motivs in der Romantik. Das ist ja schon eine Besessenheit, ein Getrieben sein, ein nicht zur Ruhe kommen können. Nun steht er da schon 190 Jahre, da wird er von dem Anblick langsam mal genug gehabt haben, obwohl er gigantisch ist …“ Bredemann verlor die Nerven und schrie wütend: „Bitte, verschonen Sie mich mit Ihren Theorien. Sie machen mich noch wahnsinnig! Das ist doch… “ Ihm fehlten die Worte. Harmsen, der sich nicht einschüchtern ließ, riet dem Direktor: „Rufen Sie doch bei der Polizei an und geben Sie eine Personenbeschreibung durch. Ein Mensch mit dieser Kleidung muss doch auffallen. Vielleicht können sie ihn überreden, weitere 190 Jahre auf dem Gipfel zu stehen. Aber ich sage ihnen, ich würde es nicht machen. Letztlich können Sie ihn nicht zwingen, er ist schließlich ein freier Mensch. Er hat nichts verbrochen. Warum wollen Sie ihm das zumuten?“
„Ich weiß, was ich jetzt mache“, stöhnte Bredemann, „ich rufe in der psychiatrischen Klinik an und lasse Sie einliefern.“
Harmsen musste trotz seines Protestes ein paar Tage in der Psychiatrie verbringen. Dort traf er zu seiner Überraschung den Wanderer. Aus naheliegenden Gründen verzichtete er darauf, den Direktor davon in Kenntnis zu setzen.

mit dieser Geschichte gewann ich 2009 den 3. Platz beim PutlitzerPreis der 42er Autoren

 

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